Grundsätzlich gilt das gesetzliche Prinzip, dass die Anwartschaften, welche während der Ehe durch die Ehegatten angesammelt wurden, am Tag der Einleitung des Scheidungsverfahrens geteilt werden müssen (mehr hier). Dieses Prinzip gilt unabhängig vom ehelichen Güterstand.
Die Ehegatten können auf den Vorsorgeausgleich verzichten, wenn gemäss Art. 124b ZGB eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge gewährleistet bleibt.
Die Ehegatten haben daher einen gewissen Spielraum, aber der Richter bleibt trotzdem frei, das gesetzliche Prinzip des Vorsorgeausgleichs anzuwenden, wenn die Voraussetzungen für einen solchen Verzicht nicht erfüllt sind.
Die Alters- und Invalidenvorsorge ist "angemessen", wenn derjenige Ehegatte, welcher von dem Ausgleich profitiert hätte, andere Vorteile geniesst, welche ihm eine ausreichende Rente oder Abdeckung ermöglicht im Falle einer Invalidität.
Zum Beispiel: er/sie profitiert von regelmässigen Einkünften aus dem Vermögen oder aus Grund- und Wohneigentum oder aber er/sie verfügt eine Lebensversicherung mit garantiertem Kapital.
Man kann auch von einer "angemessenen" Vorsorge sprechen, wenn derjenige Ehegatte, der von dem Ausgleich profitiert hätte, über ausreichend Vorsorgekapital in der 3. Säule verfügt oder ein Nutzniessungs- oder Wohnrecht an einer Immobilie hat.
Das Alter der Ehegatten spielt auch eine Rolle: Falls es einen grossen Altersunterschied zwischen den Ehegatten gibt, wäre es nicht angebracht, wenn der ältere Ehegatte seine Anwartschaften vermindern muss, obwohl der jüngere Ehegatte noch viele Jahre arbeiten wird und seine Pensionskasse somit erhöhen kann.
Je jünger die Eheleute bei der Scheidung sind, desto eher wird der Verzicht auf die Teilung akzeptiert, weil jeder noch ein langes professionelles Leben vor sich hat, um genügend Anwartschaften anzusammeln.
Auch wird ein Verzicht eher akzeptiert, wenn die Ehe von kurzer Dauer war und keine Kinder vorhanden sind. Sehen Sie hier ein Beispiel von einer Ehe von 4 Jahren, keine Kinder, der Mann hat CHF 1717.15 CHF angesammelt und die Frau hat mehr als CHF 60'000.- angesammelt...Und es kam zu keiner Teilung.
Schliesslich kann man auf einen Vorsorgeausgleich verzichten, wenn dieser aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Eheleute nach der Scheidung ungerecht erscheint. Zum Beispiel wenn jeder genügend Einkommen oder Vermögen hat sodass es zusätzlich nicht notwendig ist, die berufliche Vorsorge zu teilen (Art. 124 ZGB).
Gemäss Art. 124b Abs. 2 ZGB wäre eine hälftige Teilung auch unbillig, wenn der berechtigte Ehegatte bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung besonders bevorteilt wurde (zum Beispiel wenn dem berechtigten Ehegatten das Hauseigentum zugeteilt wird und dieser im Gegenzug auf einen Ausgleich verzichtet). (Siehe 5A_443/2018)
Des Weiteren wäre es auch unbillig, wenn der Berechtigte schon einen viel zu vorteilhaften Unterhalt von seinem Ex-Partner erhalten hat.
Ein Verzicht wäre auch unbillig im Fall eines Missbrauch des Rechtes, zB. wenn die Ehe nur zum Erhalten der Aufenthaltsbewilligung ist (5A_443/2018).
Schliesslich ist die Schuld im Prinzip unwichtig, ausser die Teilung der Anwartschaften tritt in ungleichen Umständen auf. In 5A_443/2018 wird die Teilung abgelehnt für ein Ehemann, der nie während der langen Ehe gearbeitet hat und somit schwerwiegend gegen seine Verpflichtung der Familie beizutragen verstossen hat. Er hat nämlich nie zur Bildung beigetragen, auch nicht zur Hausarbeit, er hatte ein verfügbares Kredit von CHF 90'864.-, was seine Ehefrau alleine zurückzahlen musste, übte während der ganzen Ehe eine strenge Überwachung auf seine Frau, misshandelte Frau und Kinder und beraubte die Familie des notwendiges Geldes, da er die Einnahmen seiner Frau an Glückspiele ausgegeben hat.
Gewisse kantonale Richter sind flexibler als andere, eine Abmachung der Ehegatten bezüglich des Verzichts auf eine hälftige Teilung zu akzeptieren. In Genf wird in 45% aller Scheidungen ein Verzicht auf die hälftige Teilung gutgeheissen.
Andere Richter (besonders waadtländische) sind jedoch viel restriktiver und ordnen die Teilung, trotz der gegenteiligen Abmachung der Ehegatten, an.
Bis zum 31. Dezember 2016 war das Gesetz viel restriktiver und es konnte nur auf einen Ausgleich verzichtet werden, wenn dem Berechtigten auf andere Weise eine "entsprechende" Alters- und Invalidenvorsorge gewährleistet werden konnte (und nicht "angemessen" wie im aktuellen Recht).